Demokratie im ÖGB? Demokratie im ÖGB!
Wie funktioniert die Machtverteilung im ÖGB und in den Gewerkschaften und wie kann darauf Einfluss genommen werden?
Der ÖGB ist ein Verein mit freiwilliger Mitgliedschaft. Somit müsste angenommen werden, dass die Machtverteilung, also etwa die Fragen, wer in welchem Gremium sitzt oder wie wichtige Entscheidungen getroffenen werden, durch die direkte Willensbildung der Mitglieder beantwortet werden. Dies ist im ÖGB und in den Gewerkschaften aber leider eher selten der Fall.
Fraktionen
Das wesentliche Instrument zur Verteilung der Macht sind die Fraktionen. Die wenigsten Gewerkschaftsmitglieder sind auch Mitglied einer Fraktion. Aber dennoch bestimmen diese weltanschaulichen, meist einer politischen Partei nahe stehenden Gruppierungen über die Besetzung fast aller Sitze in den Gewerkschaftsgremien und somit über Inhalte und Ausrichtung der Gewerkschaftspolitik sowie über die Verwendung der Mitgliedsbeiträge.
Auch in der allgemeinen Bevölkerung sind nur eine kleine Minderheit Mitglied einer Partei, dennoch sitzen etwa in Landtagen und im Parlament fast ausschließlich Parteipolitiker/innen.
Wo liegt nun aber der Unterschied zu den Gewerkschaften bzw. wo ist das Problem? Mit Ausnahme der Gewerkschaft der Post- und Fernmeldebediensteten (GPF) und vielleicht noch der younion Wien finden in keiner Gewerkschaft Wahlen statt, die den Qualitätskriterien etwa einer Nationalratswahl standhalten würden. Zumeist finden überhaupt keine Urwahlen statt, also keine Wahlen, bei denen Mitglieder unmittelbar mitbestimmen. Wenn doch Gewerkschaftswahlen stattfinden – etwa in der younion oder seltener auch in der Gewerkschaft öffentlicher Dienst (GöD) – dann jeweils nur auf den untersten Ebenen und meist so, dass es für Minderheiten schwer ist, überhaupt anzutreten und/oder gewählt zu werden. Zu den Schikanen zählen Hürden, die für kleine Gruppierungen oft nicht oder fast nicht zu überwinden sind, oder das Vorenthalten wesentlicher Informationen, etwa einer Liste mit den Daten der Wahlberechtigten, die somit dann auch nicht entsprechend informiert werden können.
Ist dann doch eine Kandidatur erfolgreich, so ist damit nur die Vertretung im jeweiligen Basisgremium sichergestellt, nicht aber in den für die Gewerkschaftsarbeit relevanten Gremien wie z. B. in den Landesvorständen. Das ist dann in etwa so, wie wenn Parteien nur auf Gemeindeebene kandidieren dürften und die Zusammensetzung der Parlamente allein von den Bürgermeister/innen bestimmt würde. Wir hätten dann im Nationalrat immer eine stabile absolute Mehrheit der ÖVP mit zwei kleinen Oppositionsfraktionen, SPÖ und FPÖ.
So ungefähr sieht es im ÖGB aus, nur eben mit einer deutlichen Dominanz der Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter/innen (FSG) und mit – zugegebener Maßen – gewissen Mindestmöglichkeiten auch für kleinere und sehr kleine Fraktionen (Minderheitenrechte).
Umlegen statt wählen
In den allermeisten Bereichen finden aber nicht einmal solche – fragwürdigen – Wahlen statt, sondern gar keine. Die Machtaufteilung zwischen den Fraktionen ergibt sich dann aus einer intransparenten „Umlegung“ von Betriebsrats- und Personalvertretungswahlen, bei denen ja auch Nichtmitglieder mitwählen, oder einfach aus fraktionellen Verhandlungen. Die „Währung“ bei diesen „Deals“, an denen meist nur Sozialdemokrat/innen (FSG) und die ÖVP-nahe Fraktion Christlicher Gewerkschafter/innen (FCG) beteiligt sind, ist die Anzahl „deklarierter Betriebsräte“. Das heißt, Mitglieder eines Betriebsrates haben die Möglichkeit, sich zu einer Fraktion zu bekennen und dieser damit in ihrer Gewerkschaft und im ÖGB mehr Gewicht zu geben. Nur ordentliche Betriebsratsmitglieder, wohlgemerkt! Nicht einfache Gewerkschaftsmitglieder, nicht einmal Ersatzmitglieder von Betriebsräten. Wie viele „Deklarierte“ die jeweiligen Fraktionen haben und wie die „Umlegung“ genau berechnet wird, das wissen in den einzelnen Gewerkschaftsbereichen nur jeweils ganz wenige Eingeweihte, meist nur die „Fraktionssekretäre“ von FSG und FCG. Einen Gesamtüberblick hat im ganzen ÖGB niemand. Alles ist streng geheim. Alle müssen darauf vertrauen, dass schon alles seine Richtigkeit hat.
Informationsvorsprung der Großen
Zu den offensichtlichen Mängeln, die dieses System hat, kommt noch hinzu, dass es den beiden großen Fraktionen jeweils viel leichter möglich ist, Deklarationen zu „keilen“. Nur sie haben Einblick in die Mitgliederdaten und so Zugang zu Informationen, wer, wo Betriebsratsmitglied ist. Nur sie verfügen über die Information, wann, wo eine Betriebsratswahl stattfindet. Nur sie haben hauptamtliches Personal, das dann die Betriebsratsmitglieder entsprechend „bearbeiten“ kann.
Betriebsratsmitglieder sind also innerhalb der Gewerkschaften die wenigen Privilegierten, die so etwas Ähnliches wie ein Wahlrecht haben, nämlich das Recht, sich zu einer Fraktion zu deklarieren und damit Einfluss auf Inhalte und Formen der Gewerkschaftsarbeit zu nehmen.
Gewerkschaften demokratisieren!
Letztlich kann die Lösung für diese Probleme nur mehr Demokratie im ÖGB und in den Gewerkschaften sein. Für die Unabhängigen Gewerkschafter/innen (UG) und ihre Gliederungen war die Demokratisierung der Gewerkschaften stets eine Hauptforderung und ein identitätsstiftendes Merkmal. Das gilt auch für GEMEINSAM-UG, die UG-Landesorganisation für Vorarlberg.
Versprochen und nicht gehalten
Die Demokratisierung der Gewerkschaften schien schon zum Greifen nahe. Als Folge des sogenannten BAWAG-Skandals und der sich daraus ergebenden Krise des ÖGB wurden nämlich zahlreiche Reformmaßnahmen beschlossen bzw. versprochen. Nicht zuletzt aufgrund des Jahrzehntelangen hartnäckigen Drucks der Unabhängigen Gewerkschafter/innen/UG wurden in der Geschäftsordnung des ÖGB Gewerkschaftswahlen verpflichtend verankert: „Jedes Mitglied muss regelmäßig die Möglichkeit haben, sich an der Wahl von Organen oder Delegierten seiner Gewerkschaft zu beteiligen“ (§ 15 Abs 2). „Wahlen haben nach den Grundsätzen von gleichen, unmittelbaren, geheimen und persönlichen Wahlen zu erfolgen“ (§ 15 Abs 1). Leider wurden diese Regelungen in den meisten Wahlordnungen der Gewerkschaften bis heute nicht umgesetzt oder durch die Direktwahl von unbedeutenden Gremien de facto umgangen.
Jede Deklaration für GEMEINSAM-UG ist eine Stimme für mehr Demokratie in den Gewerkschaften!
Bis sich die Gewerkschaften also endlich einmal doch demokratisch organisieren, müssen UG und GEMEINSAM im derzeitigen System versuchen, an Einfluss zu gewinnen. Dies ist – nicht nur, aber sehr wesentlich – über die Deklaration von Betriebsratsmitgliedern möglich. GEMEINSAM-UG hat keine Möglichkeit, sich demokratischen Gewerkschaftswahlen zu stellen. Die einzige Form, ihre Stärke nachzuweisen, sind Deklarationen. Nur wenn sich in einer bestimmten Gewerkschaft oder in der Gliederung einer Gewerkschaft ausreichend viele Betriebsratsmitglieder zu GEMEINSAM-UG bekennen, kann GEMEINSAM-UG in die jeweiligen Gremien Vertreter/innen entsenden. Dies gilt von Ausschüssen für Ortsgruppen und Wirtschaftsbereichen bis hin zum ÖGB-Vorstand.