Erfolgreiches Vorarlberger Mindestsicherungsmodell bewahren
Antrag an die 183. AK-Vollversammlung am 16.5.2019
Kürzlich hat der Nationalrat ein Sozialhilfe-Grundsatzgesetz beschlossen, das die bisherigen Regelungen für die Mindestsicherung ablösen soll. Diese Gesetzesänderung ist auf breiten Widerstand von offizieller Seite etwa den Landessozialreferent/innen und aus der Zivilgesellschaft wie zahlreichen Expert/innen aus Sozialverbänden und -einrichtungen gestoßen.
Die wichtigsten Kritikpunkte
- Im derzeit noch gültigen System der bedarfsorientierten Mindestsicherung wird ein Minimum dessen definiert, was ein Mensch oder eine Familie in Österreich zum Leben braucht. Den Landesgesetzgebern steht es frei, über dieses Maß hinaus Unterstützung zu leisten, z. B. weil in Vorarlberg die Lebenshaltungskosten und vor allem die Wohnkosten höher sind als in anderen Bundesländern.Mit dem Sozialhilfe-Grundsatzgesetz wird das umgedreht. Es wird eine Obergrenze definiert, was Länder an Hilfe leisten dürfen. Vorarlberg soll also gezwungen werden, seine Unterstützung für die Ärmsten herunter zu schrauben. Das Sozialhilfe-Grundgesetz soll das bewährte und erfolgreiche Vorarlberger Modell der Mindestsicherung zerschlagen. Die Umsetzung würde für alle Anspruchsgruppen in Vorarlberg eine Verschlechterung darstellen.Ziel der Mindestsicherung ist die „verstärkte Bekämpfung und Vermeidung von Armut und sozialer Ausschließung“. Die Sozialhilfe neu hingegen soll nur noch „zur Unterstützung des allgemeinen Lebensunterhalts und Befriedigung des Wohnbedarfs … beitragen“. Das heißt: Die Menschen in diesem Land sollen keinen Anspruch auf ein Existenzminimum mehr haben, sondern sie erhalten statt einer „Mindestsicherung“ lediglich einen „Beitrag“.
- Die Obergrenze der „Hilfe“ wird für bestimmte Gruppen von Notleidenden zudem noch deutlich herabgesetzt, insbesondere für Personen mit geringen Deutschkenntnissen.
- Mit dem familienfeindlichen Sozialhilfegesetz treibt die schwarz-blaue Bundesregierung vor allem Kinder und Familien in die Armut. Das Schlimmste an den neuen Regelungen sind nämlich die massiven und degressiven Kürzungen bei den Kinderrichtsätzen.
- Das neue Sozialhilfegesetz ist sehr wahrscheinlich verfassungswidrig.
Schon in der Vergangenheit hat der Verfassungsgerichtshof Teile von Mindestsicherungsgesetzen mit ähnlichen Intentionen aufgehoben.Die Bundesverfassung regelt, dass der Bund beim „Armenwesen“ für die Grundsatzgesetzgebung, die Länder für die Ausführungsgesetze und den Vollzug verantwortlich sind. In Grundsatzgesetzen kann der Bund recht allgemeine Bestimmungen vorgeben, die einzuhalten sind. Das kann jedoch nicht so weit gehen, dass den Ländern nur ganz genau eine einzige Umsetzungsform verbleibt, sie also keinen Gestaltungsspielraum haben. Doch genau das sieht das neue Sozialhilfe-Grundsatzgesetz vor. Es legt sehr niedrige Höchstgrenzen der zukünftigen Sozialhilfe fest und verbietet gleichzeitig den Ländern, Menschen in Notlagen weitere Leistungen zukommen zu lassen.Aber auch zumindest zwei weitere Bestimmungen des Gesetzesentwurfs sind nach Ansicht von Expert/innen vermutlich viel zu eng für ein „Grundsatzgesetz“: Die Verpflichtung, Menschen mit geringen Deutschkenntnissen die Leistung um 35% zu kürzen sowie der faktische Zwang, Wohnkosten im Regelfall als Sachleistungen auszubezahlen. Beide Regelungen zwingen die Länder zu unsachlichen Regelungen und zu erheblichen Mehrkosten in der Verwaltung. Die Gewährung als Sachleistung ist nämlich regelmäßig teurer, als die Auszahlung eines Geldbetrags. - Das neue Sozialhilfegesetz ist sehr wahrscheinlich auch europarechtswidrig.
„Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, in dem Mitgliedstaat, der diesen Schutz gewährt hat, die notwendige Sozialhilfe wie Staatsangehörige dieses Mitgliedstaats erhalten“, heißt es in § 29 der EU-Status-Richtlinie. Wenn Menschen mit geringen Deutschkenntnissen jedoch eine um 35 % niedrigere Leistung erhalten, werden sie offenkundig nicht „wie Staatsangehörige dieses Mitgliedstaats“ behandelt.
Antrag
Die Vollversammlung der Kammer für Arbeiter und Angestellte Vorarlberg spricht sich mit Entschiedenheit gegen das neue sogenannte Sozialhilfe-Grundsatzgesetz aus.
Die Arbeiterkammer ruft den Vorarlberger Landtag und die Vorarlberger Landesregierung auf, sich mit allen politischen und juristischen Mitteln dagegen zur Wehr zu setzen. Insbesondere ist zu prüfen, ob die Sozialhilfe neu verfassungs- und europarechtswidrig ist und welche Schritte dagegen unternommen werden können.
Landtag und Landesregierung sind aufgerufen, die Umsetzung im Landesrecht entsprechend zu verzögern und gegebenenfalls danach zu trachten, die Vorgaben trotz des eng geschnürten Korsetts nicht in der verordneten Härte umzusetzen.
Die AK Vorarlberg unterstützt den zivilgesellschaftlichen Widerstand gegen das Armutsgesetz nach Kräften.